BILDER MACHEN

ZUR MALEREI BEI BILDSTEIN | GLATZ

Bildstein | Glatz machen auch Malerei. Diese Beschreibung verweist auf die selbstreferenzielle künstlerische Praxis des Duos, der sie sich seit 2003 ebenso ironisch wie hingebungsvoll widmen. Paradox ist dieser Satz deshalb, da die gestisch-expressive Malerei von Bildstein | Glatz unverkennbar den Mythos des Künstlergenies beschwört, das per definitionem von einem Individuum und keinesfalls von einem Duo verkörpert wird. Die Formulierung des „Machens“ ist zudem so gewählt, da die Malerei bei Bildstein | Glatz konzeptueller Teil eines grösseren, performativ angelegten Werkkomplexes ist.

Unmissverständlich beziehen sich Bildstein | Glatz auf die Malereigeschichte der Moderne, insbesondere auf den Abstrakten Expressionismus, als die Leinwand zur Arena der künstlerischen Handlung wurde. Jackson Pollock tropfte und spritzte die Farbe in tänzerischen Gesten von allen Seiten auf die am Boden liegende Leinwand. Dieser Mythos des Machens, das „Mark-Making“ des Abstrakten Expressionismus, ist durch Foto- und Filmaufnahmen von Pollock bestens bekannt, einschliesslich der damit einhergehenden, männlich konnotierten Aufladung dieser Malerei. Die Künstlerheroen der Nachkriegszeit bringen ihre Spuren in einer schöp- ferischen Unmittelbarkeit auf die Leinwand, und um dieses Markieren geht es. Die Vorstellung geht dahin, dass diese Zeichen nichts ausser sich selbst repräsentieren, sie sind Farbe auf Fläche, der Intuition des Künstlers entsprungen und in höchstem Masse original. Diesem Künstlermythos der Moderne gehen Bildstein | Glatz nach und schreiben ihren Bildern gleich auch die weitere Malereigeschichte des
20. Jahrhunderts ein: die gegenläufige Pop-Art ebenso wie den Neoexpressionismus, das Bad Painting der 1970er- und die Neuen Wilden der 1980er-Jahre, die erneut die Autonomie des Werks und die Hoheit des Malers zelebrierten, über Neo-Geo bis zur Street-Art, die heute umstandslos vom Kunstbetrieb umarmt wird.

Der Begriff „Overkill“, unter dem Bildstein | Glatz auf ihrer Webseite eine ganze Gruppe unterschiedlicher Malereien zusammenfassen, impliziert die Befrachtung des traditionellen Mediums Malerei durch die dominanten künstlerischen Überväter. Ebenso scheint „Overkill“ auf das charakteristische, randfüllende „All-over“ des Abstrakten Expressionismus zu verweisen und gleichzeitig auf das uferlose Bildreservoir des digitalen Zeitalters, das letztlich die Gegenwart des in den 2000er-Jahren ausgebildeten Duos bestimmt. Eine Ausbildung, die Philippe Glatz bei Erwin Bohatsch und anderen Malern dieser Generation durchlaufen hatte, also bei Vertretern der Neuen Wilden, die gegen die vorherrschende Konzeptkunst der 1970er-Jahre und die Totsagung der Malerei aufbegehrten. 

 

 

Tunnel 1 - 12, 2012, UltraChrome HD ink auf Papier, je 45 x 60 cm

Die Serie digital überarbeiteter Malereien Tunnel sind All-over-Kompo- sitionen, die malerische Unschärfen mit geometrischen Figuren und gestischen Elementen vereinen. Als Reihe gezeigt, entsteht der Eindruck einer grösseren Komposition, die dem Einzelwerk sinnigerweise seine Individualität raubt. Das auratische Bild steht so im paradoxen Gegensatz zu seiner seriellen Reproduziertheit, als ob Bildstein | Glatz hier einen Spagat zwischen den Gegenpolen Abstrakter Expressionismus und Pop-Art vollführten. Bei genauer Betrachtung offenbaren sich auch die schematischen Linien des Zeichnungsprogramms; deren abgerundete, klar begrenzte Formen laufen dem expressionistischen Pinselstrich, der die Hand des Malergenies offenbart, komplett zuwider und verstärken ihren Zitatcharakter.

Noch radikaler in dieser Hinsicht ist die Reihe der rosa und schwarz gehaltenen Handybilder, die keinerlei persönliche Handschrift tragen und gewissermassen eine algorithmenbasierte Simulation gestischer Expressivität darstellen. Dennoch vermischen sich hier die Fleischtöne eines Willem de Kooning mit den kontrastierenden Formvarianten eines Robert Motherwell zu Bildfindungen, die wir unwillkürlich jener Epoche entsprechend lesen. Obwohl als gültige Reihe präsentiert, verharren die Handybilder in einem mehr oder weniger ausgeführten Zustand der Studie, und als solche behandeln die Künstler sie auch. Denn jedes einzelne kann ganz analog mit Pinsel und Farbe auch in eine grossformatige Malerei übersetzt werden. Strategisch erzeugen Bildstein | Glatz gewissermassen auch in der Produktion einer solchen Malerei eine doppelte Distanzierung zum expressionistischen Künstlermythos. Sie unterlaufen die Unmittelbarkeit der Geste, indem sie der Malerei nicht nur eine Skizze voranstellen, sondern diese auch noch digital generieren.

Eine vergleichbare Aneignungsstrategie kunsthistorischer oder massen- medialer Bilder liegt auch den kruden Wellenlinien-Bildern aus der Reihe FTP (fuck the police / fuck the painting) zugrunde. Das sind sehr breitformatige Leinwände mit Sprayspuren, ähnlich jenen, die illegalerweise auf fahrenden Zügen angebracht werden. Bildstein | Glatz, die sich bei einem Graffiti-Event kennengelernt haben, überführen dieses subkulturelle Mark-Making in den Kunstkontext, nicht zuletzt durch die Leinwand, den traditionellen Träger der Malerei. So wirken diese Bilder wie ein betont hilfloser Abklatsch jener Künstler-Sehnsucht nach genialischer, ungezähmter und letztlich subversiver Ausdruckskraft. Die zerstörerische Kraft von Graffiti im öffentlichen Raum reverberiert auf den Leinwänden, die in sorgfältiger Handarbeit von den Künstlern grundiert und auf den Keilrahmen gespannt, aber durch die banalen Sprayereien verpfuscht worden sind.

Mit der Serialität vieler ihrer Arbeiten thematisieren die Künstler ein Paradigma der Malereigeschichte des 20. Jahrhunderts. Während die Abstrakten Expressionisten auf jeder Leinwand die medienspezifischen Bedingungen dieser Gattung selbstreferenziell und hermetisch bearbeiteten und so jedes Werk zum Unikat wurde, stellte die Pop-Art – allen voran Andy Warhol mit seiner Factory – durch die serielle, mechanisierte und nicht an den Künstler gebundene Produktion diese Originalität infrage. Bildstein | Glatz nähern sich dem Spannungsfeld dieser konträren Haltungen auf verschiedene Weisen: indem sie denselben Alltagsgegen- stand (z. B. Kletterschuhe oder Motorradhelme) immer wieder malen und somit auch den High-Low-Diskurs aufgreifen, der die Kunstwelt seit den 1960er-Jahren verstärkt beschäftigt; indem sie durch eine dichte Hängung das Einzelbild relati- vieren oder indem sie sich der Herkulesaufgabe stellen, jede Zahl – es sind bereits über 500 – in einer Malerei zu fassen, ohne sich im Bildvokabular zu wiederholen. Trotz konzeptueller Ausgangslage manifestiert sich in jedem einzelnen Bild eine ausgeprägte Lust am Malen, ein geradezu spielerischer Erkenntnisgewinn durch das gestalterische Machen an sich.

Es sind nicht nur Referenzen an die Masslosigkeit der Bilderflut im Netz, in dem das Einzelbild Teil eines riesigen Verweissystems ist, und auch nicht nur die digitalen Möglichkeiten der Bildbearbeitung, die das Werk von Bildstein | Glatz als zeitgenössisch ausweisen. Ebenso entscheidend ist die Leichtigkeit, mit der sie die medialen Gattungsgrenzen und Wertesysteme zu Hybriden verwischen. So wird eine Handykomposition in ein Gemälde übersetzt, wofür sie in anachronistischer Langsamkeit Pigmente anrühren und Leimfarbe herstellen. Die Materialität der Malerei ist dadurch infrage gestellt, die Form der Materialisierung eines Bildes nicht inhaltlich zwingend, sondern anpassungsfähig. Nach dem erklärten Ende der (neo-expressionistischen) Malerei in den 1980ern hat die Digitalisierung aus dem alten traditionsbeladenen Medium eine neue Oberfläche gemacht, auf der analoge und digitale Techniken gleichwertig und zeitgleich verhandelt werden können. Ebendiese Oberfläche, an der sich in der Moderne ein Streit zwischen Sein oder Schein, zwischen Inhalt und Hülle entsponnen hat, bildet im Schaffen von Bildstein | Glatz einen Ort einer nicht hierarchisch geprägten Auseinandersetzung mit Kunst und Massenkultur.

 

Wie sehr Bildstein | Glatz einem aktuellen konzeptuellen Malereibegriff verpflichtet sind, zeigt sich überdies in ihrer Behandlung der Bilder, die sie wie beliebiges Baumaterial etwa in einen Kiosk integrieren. Das vormals autonome Gemälde Nr. 1 wird respektlos in einen Marktstand mit Merchandising Produkten des Shop 05 auf der Art Bodensee umfunktioniert und so auf seine materiellen Bestandteile reduziert. Ohnehin ist bei Bildstein | Glatz die Malerei oft mit der dritten Dimension verknüpft, mit den Objekten, Rampen und Rennbahnen, die ihnen als Arena für ihre Aktionen dienen. Dass diese manchmal fast halsbrecherisch ganzen Körpereinsatz fordern, verleiht auch dem viel beschworenen Mythos des Künstlerheroen des Action Paintings eine neue Dimension. Auf diese Weise ist die Malerei bei Bildstein | Glatz neben Zitat auch Requisit eines performativ angelegten Gesamtwerks, in dem weder das einzelne Kunstwerk noch das Handwerk, sondern – in Anlehnung an Duchamp – die Handlung des Künstlers im Zentrum steht. Ihre ironische Selbststilisierung zu Kunsthelden, die sowohl den gegenwärtigen Kunstdiskurs als auch den boomenden Kunstmarkt reflektiert, treiben sie mit der Arbeit Too big to fail, 2015 auf die Spitze. Die unverhältnismässige Leinwand ist sogar zu gross, um im Ausstellungsraum senkrecht stehen zu können. Auch hier zeigt sich, dass Bildstein | Glatz keine Maler sind, sondern Bilder machen, und zwar in dem Sinn, dass sie ihre performativen und konzeptuellen Praktiken auf der Benutzeroberfläche der Malerei verhandeln. KATHARINA AMMANN